Neue Spuren zu "Disko-Morden" für die Ermittler
Cold Cases aus Niedersachsen: Mehr als 100 neue Hinweise zu sechs verschwundenen Mädchen

Anja Beggers ist seit 45 Jahren verschwunden. Ihre Mutter, heute 83, hat einen großen Wunsch: Sie will wissen, warum ihre Tochter mit 16 Jahren nach einem Diskobesuch nie mehr nach Hause kam. Jetzt gibt es neue Hinweise in ihrem Fall und in denen von fünf weiteren Niedersächsinnen. Bekannt sind diese Cold Cases als „Disko-Morde“.
Cold Case Anja Beggers

Es ist der 7. Oktober 1977 als ein Bekannter von Anja Beggers sie zu Hause abholt. Er will mit ihr gemeinsam in die heute nicht mehr existente Bar „Moustache“ in Bremerhaven fahren. Sie steigt in sein Auto. Am nächsten Morgen ist das 16 Jahre alte Mädchen nicht in ihrem Bett. Bis heute bleibt sie verschwunden. Und sie ist nicht die einzige junge Niedersächsin, die in den 70er und 80er Jahren nach einem Diskobesuch nie wieder auftaucht. In der Sendung „Aktenzeichen XY“ wird Anjas Fall am Mittwoch (12.10.) zusammen mit fünf weiteren nacherzählt.
Die Chronologie des Verschwindens
7. Juni 1978: Angelika Kielmann (18) wird in Cuxhaven das letzte Mal gesehen.
16. Mai 1979: Anke Streckenbach (19) wird nach dem Besuch einer Disko – ebenfalls in Cuxhaven - vermisst.
30. November 1980: Andrea Martens (19) verschwindet in Osterholz-Scharmbeck.
14. August 1982: Christina Bohle (15) wird in Beverstedt zuletzt gesehen.
13. Juni 1986: Jutta Schneefuß‘ (24) Spur verliert sich in Loxstedt.
Sie alle sollen eines gemeinsam haben: Die jungen Frauen waren wohl als Anhalterinnen unterwegs.
Ermittler prüfen Verbindung zu Göhrde-Morden

„Es könnte sich bei diesen Taten um einen Serientäter handeln, dies ist aber nicht die einzige Hypothese“, so die Polizei Cuxhaven. Auch der Begleiter von Anja Beggers hätte sich bei Befragungen beispielsweise mehrfach in Widersprüche verstrickt. „Diesen und anderen Ansätzen wird weiter nachgegangen.“
Der Cuxhavener Ermittler Rainer Brenner erzählt bei „Aktenzeichen XY“, dass die Polizei in letzter Zeit noch einmal auf die Angehörigen der Verschwundenen zugegangen sei, um DNA-Muster festzustellen. Neue Abgleiche würden schon laufen. Auch im Zusammenhang mit den Göhrde-Morden.
Serienmörder Kurt-Werner Wichmann

Ende der 80er Jahre, 1989, begeht der Friedhofsgärtner nachweislich die sogenannten Göhrde-Morde in einem Waldgebiet in Lüchow Dannenberg. Doch es gibt viele Hinweise, dass er noch mehr Menschen getötet hat.
Auch 2022, 33 Jahre nach den zwei Doppelmorden, beschäftigen sich jeden Tag sechs Ermittler der Polizeidirektion Lüneburg mit Wichmann und seinem möglichen Mittäter. Insgesamt 2050 alte Akten sind im Laufe der Jahre vollständig überprüft worden. Daraus haben sich 1000 neue Spuren ergeben - die bis heute abgearbeitet werden.
Gegenüber RTL sagt der Kriminalhauptkomissar Thilo Speich: "Wenn man in sein sogenanntes Personagramm, das wir erstellt haben, in die Kindheit zurück geht, dann kann man schon feststellen, dass im Schulkontext zum Beispiel spezielle Auffälligkeiten existiert haben. Im Jugendalter gibt es bereits Straftaten, die nicht jugendtypisch waren. Im jungen Erwachsenenalter ist er ja auch für eine erhebliche Straftat zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden. So dass man tatsächlich schon eine kriminelle Karriere erkennen kann. "
Im April 2018 bringt eine groß angelegte Durchsuchungsaktion mehr als 400 Gegenstände auf dem Grundstück des verstorbenen Wichmann zu Tage. Die Polizeidirektion Lüneburg hat Fotos von ihnen auf ihrer Webseite veröffentlicht und hofft weiterhin auf Hinweise aus der Bevölkerung. So könnten auch Cold Cases wie die der verschwundenen Anhalterinnen eine neue Wendung bekommen.
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Cold Case Akten werden noch lange nicht geschlossen

Mehr als 100 neue Hinweise habe die Polizei nach dem TV-Zeugenaufruf am Mittwoch (12.10.) bekommen. "Über 100 Hinweise sind eine tolle Resonanz", erklärt Rainer Brenner, Ermittler bei der Polizei Cuxhaven in einer Mitteilung. "Ob der entscheidende Hinweis dabei ist, wird sich zeigen. Unser Ziel ist und bleibt es, den Angehörigen nach so langer Zeit endlich Gewissheit zu bringen". Denn all die verschwundenen Mädchen, haben Freunde und Familie hinterlassen. Sie wollen wissen, wo Angelika Kielmann, Anke Streckenbach, Andrea Martens, Christina Bohle, Jutta Schneefuß und Anja Beggers geblieben sind. (jsc)