Das sollten Betroffene wissen Ex ruft immer wieder an: Ab wann ist es Stalking?

ARCHIV - 15.06.2016, Berlin: ILLUSTRATION - Telefonterror, Nachrichten im Sekundentakt? Stalking kann unterschiedliche Facetten haben. Und doch ist ihnen allen eines gemein: die Strafbarkeit. (zu dpa: «Stalking: Experten erwarten neuen Höchststand in Berlin») Foto: Christin Klose/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Telefonterror, Nachrichten im Sekundentakt? Stalking kann unterschiedliche Facetten haben (Symbolbild).
cja gab pba, dpa, Christin Klose
von Tamara Bilic und Sebastian Stöckmann

Es ist ein Gefühl der Ohnmacht.
Wer Opfer eines Stalkers wird, weiß oft nicht weiter. Betroffene sollten sich unmittelbar wehren, um dem Albtraum zu entkommen. Andernfalls droht ein Leben in permanenter Angst.
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Ab wann spricht man von Stalking?

„Stalking ist zunächst eine Form der unerwünschten Kontaktaufnahme", erläutert Wolf Ortiz-Müller, Leiter der Berliner Beratungsstelle Stop-Stalking, im RTL-Interview. „Dies wird aber erst dann als Stalking gewertet, wenn sich die eine Person klipp und klar abgrenzt und sagt 'Ich will nichts mehr mit dir zu tun haben' und die andere Person das nicht respektiert – über einen Zeitraum von mindestens zwei Wochen." Dieser Zeitraum sei vor allem in Fällen anzusetzen, in denen eine Beziehung zerbrochen sei und im Anschluss zunächst weiterhin Kontakt zwischen den früheren Partnern bestehe, sagt der Diplom-Psychologe.

Es gebe jedoch auch Fälle, in denen vorher keine Liebesbeziehung bestanden habe, wenn sich etwa jemand für seine Arbeitskollegin interessiere. „Dabei muss es zunächst auch eine Form der Abgrenzung geben – zu sagen, das ist jetzt nicht mehr ein kollegialer Austausch, sondern die Person rückt mir zu nahe, ich will nichts mehr mit ihr zu tun haben", erklärt Ortiz-Müller. „In dem Fall würden wir auch von Stalking sprechen."

Wer ist von Stalking betroffen?

Laut Studien sind rund 80 Prozent der Stalking-Opfer in Deutschland Frauen und etwa 80 Prozent der Täter Männer. 24 Prozent aller Frauen und vier Prozent aller Männer sind mindestens einmal im Leben betroffen. In vielen Fällen sind die Täter frühere Partner oder Männer, die abgewiesen wurden. Doch manchmal handelt es sich auch um Arbeitskollegen, flüchtige Bekannte oder komplett Fremde.

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Was sollten Stalking-Opfer als Erstes tun?

Wer gestalkt wird, solle umgehend aktiv werden, rät der Kölner Rechtsanwalt Christian Solmecke. Je früher sich Opfer wehrten und sich Hilfe holten, desto früher werde die stalkende Person die Verfolgungen und Nachstellungen beenden. Opfer sollten dem Stalker – einmalig – unmissverständlich und klar mitteilen, dass man keinen Kontakt mehr mit ihm wolle. In der Folge sei er konsequent zu ignorieren.

Wichtig ist zudem, das eigene Umfeld wie Familie, Freunde, Nachbarn und Arbeitskollegen einzuweihen. Ist der Stalker ein Arbeitskollege, sollte auch der Arbeitgeber informiert werden: Je mehr Leute Bescheid wissen, desto stärker werden Täter erfahrungsgemäß abgeschreckt.

Welche Beweise müssen Stalking-Opfer sammeln?

Opfer sollten die Stalking-Vorfälle lückenlos dokumentieren, um gegebenenfalls rechtliche Schritte einleiten zu können. Das bedeutet, Anrufe, Nachrichten und andere Kontaktaufnahmen mit Datum und Uhrzeit festzuhalten.

Dabei kann zum Beispiel die App „No Stalk" des Opferschutzvereins Weißer Ring helfen, die kostenlos heruntergeladen werden kann und wie ein digitales Tagebuch funktioniert. In der App lassen sich Fotos, Videos, Whatsapp-Nachrichten und Sprachnachrichten beweiskräftig sichern und dokumentieren.

Was macht Stalking mit einem Menschen?

Wolf Ortiz-Müller, Leiter Stop-Stalking
Wolf Ortiz-Müller leitet die Berliner Beratungsstelle Stop-Stalking.
RTL

„Eine Person, die gestalkt wird, ist extrem verunsichert", erzählt Wolf Ortiz-Müller. „Sie weiß nicht mehr, wann die nächste Stalking-Aktion droht. Das innere Alarmsystem springt an, man schläft nicht mehr gut, und man ist dauernd besorgt, man ist in einer inneren Anspannung. Man macht sich oft selbst Vorwürfe und sieht gar nicht, dass die Schuld bei der anderen Person liegt." Betroffene würden sich oft infrage stellen, soziale Kontakte meiden und sich ungern in der Öffentlichkeit zeigen.

Welche Menschen werden zum Stalker?

„Stalker gibt es in allen Milieus und in jedem Alter", weiß Wolf Ortiz-Müller. „Auch ein guter Job schützt nicht davor, zum Stalker zu werden." Doch es gebe bestimmte Umstände, die in den von Stop-Stalking betreuten Fällen immer wieder eine Rolle spielten. „Wir haben auch Menschen, die sehr prekär leben und denen es ganz selten gelungen ist, eine Liebesbeziehung einzugehen. Und wenn man arbeitslos ist und kaum etwas hat, auf dem man seinen Selbstwert aufbauen kann, spielt die Partnerschaft eine viel größere Rolle. Sie ist dann wie identitätsstiftend. Wenn die auch noch wegbricht, rutschen die Menschen in ein Klammern, in ein Festhalten. Oder sie leben ihre Wut und ihren Ärger aus, indem sie stalken."

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Wie ist die Gesetzeslage beim Stalking?

Stalking ist seit 2007 strafbar, 2017 wurde das Gesetz verschärft. Zunächst konnten Stalker nur dann belangt werden, wenn sich das Opfer bereits zu einem Umzug oder einem Wechsel der Arbeitsstelle entschlossen hatte, die Lebensgestaltung also schon stark beeinflusst war. Seit der Verschärfung können für Stalking auch Haftstrafen von bis zu drei Jahren ausgesprochen werden, wenn sich die Belästigungen des Stalkers „objektiv eignen", das Leben des Opfers schwerwiegend zu beeinträchtigen.

Wie hilft die Polizei Stalking-Opfern?

„Alle Kollegen sind in ihrer Ausbildung für das Thema sensibilisiert worden", sagt Berlins Polizeipräsidentin Dr. Barbara Slowik. „Zunächst sind wir im Kern mit der Anzeigenaufnahme beschäftigt, aber dann bieten wir an, einen Kontakt zu entsprechenden Einrichtungen herzustellen."

Wer unsicher sei, ob die Anzeige zu einem Erfolg führe, könne aber sofort Schutzmaßnahmen treffen, erläutert Wolf Ortiz-Müller. Dazu gehöre auch die „digitale Trennung": Betroffene sollten unter anderem ihre Handynummer wechseln oder zumindest eine weitere für wichtige Kontakte zulegen: Die Nachrichten des Stalkers liefen dann auf der ausrangierten oder auslaufenden Nummer ins Leere.

Was kann ich tun, wenn ich glaube, selbst jemanden zu stalken?

Die Beratungsstelle Stop-Stalking berät nicht nur von Stalking Betroffene: Auch Menschen, die stalken oder sich diesbezüglich nicht sicher sind, können sich an die Einrichtung wenden. „Unser Ziel ist, dass sie mit dem Stalken aufhören", sagt Bernadette Herbrich, Co-Leiterin von Stop-Stalking. „Eine Geld- oder Haftstrafe ist eine Form der Bestrafung. Aber wenn sie zu uns kommen, setzen sie sich aktiv mit ihrem Verhalten auseinander. Und sie können lernen, Verantwortung dafür zu übernehmen, zu erkennen, dass es Unrecht war. Das ist gleichzeitig ein Schutz für alle von Stalking betroffenen Menschen."

Es würden auch Personen zu Stop-Stalking kommen, die gar nicht wüssten, weshalb sie des Stalkings bezichtigt werden, berichtet Sozialarbeiterin Herbrich. Manche hätten eine Anzeige bekommen und seien dann überrascht, weil sie niemals gedacht hätten, dass ihr Verhalten „irgendwas mit Stalking zu tun" haben könnte. „Stalker erleben es als sehr hilfreich, unsere Unterstützung bekommen: dass wir zuhören, sie ernst nehmen. Und die Tat verurteilen – nicht die Person."

Welche Hilfsangebote für Stalking-Opfer gibt es?

Stalking-Opfer können zum Beispiel das Hilfsangebot des Weißen Rings in Anspruch nehmen. Das Opfer-Telefon unter der Rufnummer 116 006 ist bundesweit sieben Tage die Woche von 7 bis 22 Uhr zu erreichen – anonym und kostenfrei. Auch eine Onlineberatung ist anonym und kostenfrei möglich. Zudem gibt es deutschlandweit 400 Außenstellen des Weißen Rings: Opfer werden dort im direkten Gespräch beraten, ebenfalls kostenfrei.

Zusätzlich finden sich im Internet Fachberatungsstellen auf kommunaler Ebene, etwa das Berliner Projekt Stop-Stalking.

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