Erfolg für die Ewigkeit
Barca 2009 – Diesem Sixpack-Team eifert Bayern nach

Der FC Bayern greift am Donnerstag (19 Uhr) bei der Klub-WM in Katar nach dem sechsten Titel der Saison. Diese Titelgier hatte bisher nur ein Team vor dem FCB: der andere FCB. Der FC Barcelona. Die Mannschaft des damaligen Trainer-Neulings Pep Guardiola fegte 2008/09 überraschend durch Spanien und Europa und gewann alles, was es zu gewinnen gab. Ein Blick zurück und ein Vergleich mit den Über-Bayern dieser Tage.
Von Emmanuel Schneider
Dabei fing alles mit einer Niederlage an. Das erste Ligaspiel des FC Barcelona unter dem damals neuen Trainer Pep Guardiola am 31. August 2008 ging mit 0:1 beim Aufsteiger CD Numancia in die Hose.
Und es war auch nicht so, dass Trainer-Novize Guardiola nur mit offenen Armen empfangen wurde. Der ehemalige Mittelfeldspieler, damals 37 Jahre jung, kam von der 2. Mannschaft und läutete nach dem Abgang von Coach Frank Rijkaard den Umbruch ein. Prägende Spieler wie die Offensivkünstler Deco und Ronaldinho mussten gehen, Abwehr-Routiner Lilian Thuram beendete seine Karriere. Guardiola setzte stattdessen auf junge Spieler aus der eigenen Jugend und auf eine neues System. Was damals noch nicht klar war: Aus dem Umbruch wurde eine Revolution, „Pep“ gab Barcelona eine neue Identität. Es war der Startschuss in eine neue Ära.
Die Auftaktpleite gegen den Underdog war jedenfalls schnell vergessen. Denn danach blieb Barca bis zum 24. Spieltag ungeschlagen, darunter 22 Siege.
Willkommen im Tiki-Taka-Zeitalter
Es war der Beginn der Tiki-Taka-Zeitrechnung. Guardiola verordnete diesem unfassbar talentierten Team eine offensive Ausrichtung sondergleichen: Ballbesitz, Ballbesitz, Ballbesitz. Mit unzähligen kurzen Pässen zirkulierte der Ball durch die technisch beschlagenen Reihen.
Und wie technisch hochbegabt sie waren. Man muss sich den Kader des damaligen Teams auf der Zunge zergehen lassen. Betörend für alle Fußballsinne. Carles Puyol, Gerard Piqué, Xavi, Andrés Iniesta, Dani Alves, Thierry Henry, Samuel Eto'o und natürlich ein junger Lionel Messi in Höchstform (22 Jahre alt) sind die bekanntesten Namen. Diese Offensivpower hat kaum eine andere Mannschaft erreicht, jedenfalls kein Team in diesem Jahrtausend, vielleicht das Barca von 2010/11.
Revolution auch in der Defensive
Und auch falls der Gegner mal in Ballbesitz kam, überrumpelte ihn die Barca-Wucht. Nach Ballverlust gingen die Pep-Spieler sofort auf den Gegner. Mit dem Ziel, binnen weniger Sekunden den Ball zurückzuerobern. Hinten waren Puyol und Piqué fürs Grobe zuständig, mit feinem Fuß hingegen dirigierte das Duo der Pass-Roboter Xavi/Iniesta den Ballvortrag, und vorne schlug dann die volle Offensivpower von Henry, Eto'o oder Messi ein. Nebenbei erfand und etablierte Guardiola das System der „falschen Neun“, in dem sich Messi zurückfallen ließ und Räume für Henry und Eto'o schuf.
Xavi, Puyol und Iniesta sprachen später einstimmig von der besten Saison ihrer Karriere. Kein Wunder. Es lief einfach perfekt. Eines der größten Highlights der Saison spielte sich im Bernabeu-Stadion zu Madrid ab. Im Zuhause des Erzfeindes demütigte Barca den ewigen Rivalen mit sechs Ohrfeigen: 6:2 lautete das Endergebnis. Die Wachablösung war endgültig da. (Damals übrigens in der überforderten Real-Innenverteidigung: Christoph Metzelder.)
Guardiola, Messi und Co. eilten mit neun Punkten Vorsprung zum Meistertitel. Im Pokal beendeten die Katalanen eine lange Durststrecke von elf Jahren.
Natürlich lebte das Team von dem grandiosen Talent seiner Kicker, doch am Ende brauchte auch dieses Über-Team eine Portion Glück. Unvergessen ist vor allem ein Tor: Nach dem 0:0 im Halbfinal-Hinspiel der Champions League lag der FC Barcelona im Rückspiel beim FC Chelsea lange Zeit 0:1 zurück. Die Tür ins ersehnte Finale schien schon zu. Da fasste sich Iniesta in der Nachspielzeit ein Herz und zwirbelte mit dem Außenrist aus 18 Metern den Ball unter die Latte. Kollektiver Jubel vor dem Auswärtsblock der Barca-Fans.
Iniestas Tor zum Glück
Im Finale in Rom ließ Barca dann Manchester United – damals noch mit dem 24-jährigen Cristiano Ronaldo – keine Chance. Der „Floh“ Messi traf sogar mit dem Kopf - und der Henkelpott war wieder in Barcelona.
Bezeichnend: Sieben Spieler aus der eigenen Jugendakademie standen im CL-Endspiel in der Barca-Startelf. Erfolg made in Barcelona. Auch beim europäischen Supercup war Barca das Glück hold. Erst in der 115. Minute knipste Pedro zur Entscheidung gegen Donezk. Im Finale der Klub-WM gegen Estudiantes de La Plata lief die Blaugrana lange einem Rückstand hinterher. Pedro und Messi trafen erneut spät. Dann brachen alle Dämme, auch bei Guardiola. Der vom Erfolg überwältigte Trainer weinte hemmungslos. Seine Leistung im Rookie-Jahr: alle sechs Titel gewonnen.
Drei Jahre später verließ Guardiola das von ihm geformte Team, 14 Titel hatte er am Ende geholt, darunter zwei Champions-League-Titel und die Gewissheit, den Fußball geprägt zu haben. Der Tiki Taka der Barca-Schule strahlte auch ins spanische Nationalteam aus. Die „Furia Roja“ holte zwischen 2008 und 2012 zwei EM und den WM-Titel. Der Barca-Block um Xavi und Iniesta spielte dabei eine zentrale Rolle.
Video: Lewa will 6. Titel und Kirsche auf der Torte
Wie schlägt sich das Team im Vergleich zu den Bayern?
In der Liga erreichte der FC Bayern 2019/20 eine leicht höhere Siegquote (76,5 zu 71 Prozent) als Guardiolas Barcelona 2008/09. Auch in der Champions League war der deutsche Rekordmeister noch gnadenloser: elf Spiele, elf Siege. Barca zog immerhin zwei Mal den Kürzeren. Beide Offensivfabriken lieferten in der Liga mit 2,9 Toren pro Spiel (Bayern) und 2,8 Toren (Barca) auf hohem Niveau ab.
Die Teams profitierten jeweils von Top-Torgaranten. Während 2008/09 bei den Katalanen Messi die Defensivreihen austanzte, ballerte 2019/20 Robert Lewandowski den FC Bayern von Erfolg zu Erfolg. Der reinen Torquote zufolge war der Pole sogar erfolgreicher. 55 Tore in 47 Spielen (in den drei Hauptwettbewerben) lautete die Lewa-Bilanz. Dafür kann Messi auf gleich fünf Finaltore (CL, Spanischer Pokal, spanischer Supercup und Klub-WM) verweisen.
Zumal sich Messi die Tore und Chancen mit den anderen Barca-Offensivwaffen „teilen“ musste, die denen der Bayern aus dem Jahr 2020 doch noch eine Ecke überlegen sind. Bei aller Klasse von Serge Gnabry (23 Tore) und Thomas Müller (14), mit Eto'o (36) Henry (26) können sie nicht mithalten. Das Barca-Triumverat erzielte zusammen über 100 Tore, das gab's im europäischen Spitzenfußball noch nie. Gleich drei Barca-Spieler waren in der Top 6 der Liga vertreten (die Torjägerkanone schnappte sich aber übrigens Atléticos Diego Forlan). Bei den Bayern holte Lewandowski mit Abstand (34 Tore) den Titel als Torschützenkönig, der nächste Bayern-Spieler folgte aber erst auf dem geteilten 10. Platz (Gnabry: 12 Tore).
Mit Xavi/Iniesta hält keiner mit
Auch im Mittelfeld hat Barca die Nase vorne. Das Duo Xavi/Iniesta sticht die Mittelfeldriege der Münchner um Kimmich/Thiago/Goretzka aus. 64 Torbeteiligungen erreichten die beiden Spanier. Auf diesen Wert kommen die drei Bayern-Profis auch zusammen nicht im Ansatz (48). Das Barca-Duo diktierte ein Spiel wie kaum jemand davor und danach.
Dafür kann der FC Bayern in der Defensive mit dem Bollwerk Süle/Boateng/Alaba gegen die Haudegen Puyol/Piqué mithalten. Klares Remis. Im Tor geht der Punkt an die Bayern. Manuel Neuer ist der beste Torhüter der Welt, Victor Valdés war seiner Zeit ein guter Keeper, aber nicht auf einem Level mit dem deutschen Nationalkeeper. Auch wenn er in jenem Jahr eine ähnliche Gegentor-Bilanz wie Neuer aufweist (54 Spiele, 45 Gegentore, 22 Spiele mit weißer West, Neuer: 53 Spiele, 50 Gegentore, 23 Mal weiße Weste).
Aber am Ende sind auch diese Statistiken Schall und Rauch. Natürlich würde man gerne diese beiden Giganten im Duell gegeneinander sehen. Es wäre ein Fest. Klar ist nur: 2009 fegte Barca über Bayern hinweg (4:0 und 1:1), 2020 war's genau andersrum, Bayern watschte Barca (8:2) ab. Wie ein Duell zwischen Barca 2009 und Bayern 2020 ausgehen würde, weiß keiner. Mit Sicherheit aber kann man sagen: Diese beiden Teams gehören zum Besten, was der europäische Fußball in den vergangenen 50 Jahren gesehen hat.