Loveparade-Prozess: Hoffnung auf späte Gerechtigkeit - die wichtigsten Fragen und Antworten
21 Menschen verloren ihr Leben, mindestens 652 wurden verletzt, viele von ihnen schwer. Warum endete die Loveparade am 24. Juli 2010 in einer Katastrophe? Und warum mussten die Hinterbliebenen und Verletzten sieben Jahre warten, bis jetzt endlich der Prozess beginnt? Dem Landgericht Duisburg steht eines der umfangreichsten Verfahren der Nachkriegszeit bevor - das zeigen schon die reinen Zahlen allein: Zehn Angeklagte, 70 Anwälte, 65 Nebenkläger. 556 Seiten Anklageschrift. Wir haben die wichtigsten Fragen und Antworten zum Loveparade-Prozess.
Was genau wird in dem Prozess verhandelt?
Für die Besucher der Loveparade sieht am 24. Juli 2010 zunächst alles nach einer Mega-Party aus. An diesem Samstag herrscht bestes Sommerwetter, die Menschen strömen scharenweise auf das Veranstaltungsgelände in Duisburg. Alle Besucher müssen durch einen engen und dunklen Tunnel. Da es der einzige Zugang zum Gelände ist, kommen ihnen dort auch die Menschen entgegen, die das Event wieder verlassen wollen. Gegen 17 Uhr kommt es zur Panik, als zu viele Menschen gleichzeitig im Tunnel sind. 21 Besucher im Alter zwischen 17 und 38 Jahren werden erdrückt, mindestens 652 verletzt. Die ausführliche Chronologie der Ereignisse sehen Sie im Video.
Die Staatsanwaltschaft Duisburg listet in der Anklageschrift "schwerwiegende Fehler bei Planung und Genehmigung" auf. Zudem seien Sicherheitsauflagen nicht überwacht worden. Das Gericht muss jetzt klären, inwiefern die Mitarbeiter der Stadt Duisburg und des Veranstalters Lopavent für die fehlerhafte Planung verantwortlich sind. Die Anklage lautet auf fahrlässige Tötung und Körperverletzung.
Warum hat es so lange gedauert, bis der Loveparade-Prozess beginnt?
Das Unglück ist ausführlich dokumentiert worden. Viele Besucher filmten das Chaos. Anhand der Videos lässt sich sehr genau rekonstruieren, wie es zur Massenpanik kommen konnte. Da liegt die Frage nahe: Wieso also dauert es siebeneinhalb Jahre, bis endlich der Prozess eröffnet wird?
Schon allein die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft dauerten mehr als dreieinhalb Jahre. 96 Polizisten vernahmen 3.409 Zeugen und sichteten Videomaterial in einer Gesamtlänge von rund 1.000 Stunden. Doch die Mühlen der Justiz mahlen langsam: Mehr als zwei Jahre lang prüfte eine Kammer des Landgerichts Duisburg die Anklage. Grundlage war ein Gutachten eines Panikforschers. Es beschreibt detailreich die vielen Planungsfehler im Vorfeld der Loveparade. Auch die Fehlentscheidungen am Tag der Veranstaltung dokumentiert es ausführlich - Fehler von Stadt, Veranstalter und der Polizei vor Ort.
Am Ende ließ das Gericht die Anklage auf dieser Grundlage jedoch nicht nicht zur Hauptverhandlung zu. Für die Hinterbliebenen ein Schlag ins Gesicht. Die Nebenkläger und die Duisburger Staatsanwaltschaft wollten das nicht hinnehmen und legten Beschwerde beim Oberlandesgericht ein. Das ebnete schließlich dem Prozess den Weg. "Das Landgericht hat versagt", sagt Opferanwalt Gerhart Baum vor Prozessbeginn.
Wer sitzt beim Loveparade-Prozess auf der Anklagebank?
Wenige Tage nach dem Unglück wies Nordrhein-Westfalens damaliger Innenminister Ralf Jäger die Schuld von der Polizei. Daran hat sich zumindest im Verfahren auch nichts geändert: Auf der Anklagebank sitzen insgesamt zehn Personen. Vier davon sind Mitarbeiter des Veranstalters Lopavent. Deren Chef Rainer Schaller wollte mit der Technoparade vor allem das Image seiner Fitneskette McFit pushen. Ihm ist aber keine Schuld nachzuweisen, weshalb er nicht angeklagt ist. Die übrigen sechs Angeklagten sind Mitarbeiter von Ordnungsamt und Bauamt der Stadt Duisburg. Der damalige Oberbürgermeister Adolf Sauerland, der keine eigenen Fehler einräumte, wurde damals zwar zum Gesicht der Katastrophe, die Staatsanwaltschaft leitete gegen ihn jedoch nie Ermittlungen ein, weshalb er juristisch nichts zu befürchten hat.
"Die Angeklagten hatten die Verantwortung, dass diese Veranstaltung genehmigt worden ist. Sie hätte nie genehmigt werden dürfen", sagt Opferanwalt Gerhart Baum im 'n-tv'-Interview. "Selbst wir als Laien: Wenn wir die Bilder sehen mit dem Tunnel und den vielen Menschen, sagen wir: 'Wie konnte sowas geschehen'?" Das komplette Interview mit Gerhart Baum sehen Sie im Video.
Wie sind die Chancen auf eine Verurteilung und mit welchen Strafen müssen die Angeklagten rechnen?
Für die Anklagepunkte fahrlässige Körperverletzung und fahrlässige Tötung drohen schlimmstenfalls fünf Jahre Haft. Es kommt allerdings darauf an, ob den einzelnen Beamten eine individuelle Schuld nachgewiesen werden kann. Das Landgericht Duisburg hatte sich im Vorfeld des Prozesses überzeugt gezeigt, dass dies nicht funktionieren würde und ihn unter anderem auch deshalb im ersten Anlauf nicht zugelassen.
RTL-Reporter Uli Klose begleitet den Prozess in Düsseldorf. Er teilt diesen Eindruck: "Ich kann mir vorstellen, es wird einige Einstellungen geben und vielleicht Geldstrafen", berichtet er. "Meine Mutmaßung ist: Hier wird niemand ins Gefängnis geschickt."
Wie ist die Strategie der Verteidiger und wann endet die Verjährungsfrist?
Das Verfahren steht unter Zeitdruck: "Das letzte Opfer der Ereignisse bei der Loveparade verstarb am 28. Juli 2010, die absolute Verjährungsfrist läuft daher spätestens mit Ablauf des 27. Juli 2020 ab", erklärt die Staatsanwaltschaft Duisburg. Wenn bis zu diesem Datum kein Urteil gefallen ist, kann niemand mehr für die Loveparade-Katastrophe verantwortlich gemacht werden. Bis dahin müssen also Urteile gefällt sein. Doch bereits am ersten Tag zeigt sich, dass die Verteidigung auf Zeit spielt.
Der Prozessbeginn um 10.15 Uhr ist unspektakulär, die ersten Stunden sind zäh. Der Richter muss die Anwesenheit von Dutzenden Prozessbeteiligten feststellen. Dann kommen schon die Verteidiger mit den ersten Anträgen. Auf Befangenheit von zwei Ergänzungsschöffen etwa. Oder zur Besetzung der Kammer. "Hier sitzen nicht die richtigen Richter", sagt ein Verteidiger und kündigt eine 74-seitige Begründung an. Leises Stöhnen im Saal. Das Oberlandesgericht hätte das Verfahren nicht einer anderen Kammer übertragen dürfen, sagt eine Anwältin. Bis zum Nachmittag bleibt unklar, ob die Staatsanwaltschaft noch dazu kommt, die Anklage zu verlesen.
Prozess musste von Duisburg nach Düsseldorf verlegt werden
Bis Ende 2018 hat das Gericht bereits 110 weitere Verhandlungstage angesetzt. Weil kein Gerichtssaal in Duisburg groß genug für die vielen Anwälte, Zeugen, Nebenkläger und Zuschauer ist, findet die Hauptverhandlung in einem Saal des Kongresszentrums Düsseldorf statt. Die Kosten dafür: 20.000 Euro Miete - pro Tag.
Worauf kommt es den Hinterbliebenen der Loveparade-Katastrophe an?
Sie wünschen sich nach über sieben Jahren endlich eine Erklärung dafür, was an dem Tag eigentlich schief gelaufen ist. Auch sieben Jahre danach melden sich noch immer traumatisierte Opfer bei der Loveparade-Stiftung. "Der Prozess wird für die Hinterbliebenen sowie für die Verletzten und Betroffenen ebenso wie für die Prozessbeteiligten eine enorme seelische Belastung sein", sagt Jürgen Widera, Vorstand der Stiftung 'Duisburg 24.7.2010'. An allen Prozesstagen stehen daher Notfallseelsorger und Psychologen bereit, die sich um die Betroffenen kümmern können. Wie eine Überlebende und die Angehörige eines der Todesopfer heute über den verhängnisvollen Tag denken, sehen Sie im Video.