Verfahren eingestellt, doch Bürger verspüren „keinen Hass"

Mord an Luise (12) bleibt ungesühnt – kehren die Teenie-Täterinnen nach Freudenberg zurück?

PRODUKTION - 11.07.2023, Nordrhein-Westfalen, Freudenberg: Ein Stein mit dem aufgemaltem Namen "Luise" liegt am Waldrand an der Stelle, an der das Mädchen Luise tot gefunden wurde. Gut vier Monate ist es her, dass die Zwölfjährige in dem Waldstück bei Freudenberg in Südwestfalen erstochen wurde. Zwei Mädchen, selbst erst 12 und 13 Jahre alt, haben die Tat gestanden. Foto: Oliver Berg/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Nach dem brutalen Tod der zwölfjjährigen Luise in Freudenberg
obe bsc, dpa, Oliver Berg

Zwei Mädchen ermordeten ihre Freundin Luise(12) mit zahlreichen Messerstichen – nun stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein! Das grausame Verbrechen an der zwölfjährigen Luise aus Freudenberg schockierte Anfang des Jahres die Bundesrepublik. Die Ermittlungen sind nun fast abgeschlossen, einen Prozess wird es nicht geben. Doch der Fall Luise F. lässt den Ort und auch die Politik nicht los.

Luise (12) von eigenen Freundinnen erstochen – Fall hinterlässt Spuren

Im Waldstück bei Freudenberg zeugen noch immer Engel und Stofftiere davon, was dort an jenem 11. März 2023 passiert ist: Hier starb Luise (12) – getötet durch zahlreiche Messerstiche, ermordet von ihren gleichaltrigen Freundinnen. Gut vier Monate nach der Tat wirkt der Fall noch immer nach. „Die Freudenberger haben jeder für sich einen Weg gefunden, mit dem Unfassbaren umzugehen“, sagt Bürgermeisterin Nicole Reschke (SPD). Im Sommer kommen viele Touristen in die Stadt, bewundern den Blick auf die berühmte Fachwerkkulisse der Altstadt. Immer wieder sei der Tod von Luise Gesprächsthema.

Dennoch hat man einen Umgang damit gefunden – das Leben der Bürgerinnen und Bürger geht weiter. „Mittlerweile sind gemeinsame Feiern zum Glück wieder möglich, die Abschlussjahrgänge der Gesamtschule haben ihre Zeugnisübergaben fröhlich begangen, ebenso wie die Dörfer ihre Jubiläumsveranstaltungen“, sagt die Bürgermeisterin.

Mord an Luise: Wie geht es mit den minderjährigen Täterinnen weiter?

Für Polizei und Staatsanwaltschaft ist der Fall inzwischen so gut wie abgeschlossen. Das Verfahren gegen die beiden Täterinnen im Alter von 12 und 13 Jahren werde bald eingestellt, so ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Siegen. Da die Mädchen noch nicht strafmündig sind, werde es keine Anklage und damit auch keinen Prozess und kein Urteil geben. Doch auch das Leben der Täterinnen ist seit dem Mord an Luise ein völlig anderes – auch sie müssen einen Umgang mit ihrer grausamen Tat finden. „Die tatverdächtigen Mädchen befinden sich nach wie vor in therapeutischen Einrichtungen“, sagt eine Sprecherin des Kreises Siegen-Wittgenstein. „Die Mädchen unterliegen der Schulpflicht, die aktuell nicht in einer regulären Schule erfüllt wird.“ Die Frage, ob die beiden eines Tages womöglich wieder in Freudenberg leben könnten, sei Teil der therapeutischen Gespräche.

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Fall Luise: Täterinnen könnten wieder in Freudenberg leben – Bürger "verspüren keinen Hass"

In Freudenberg leben, nach einem so grausamen Verbrechen – wie nehmen das die Bürgerinnen und Bürger auf? Pastor Thomas Ijewski, der Luises Familie nach der Tat begleitet und auch die öffentliche Trauerfeier gehalten hat, weiß, wie die Menschen in Freudenberg dazu stehen. „Es gibt keinen Hass gegen die Täterfamilien“, sagte er der Siegener Zeitung. „Nachbarschaft und Dorfgemeinschaft lassen sie nicht fallen und verstoßen sie nicht.“

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Fall Luise: Jugendkriminalität nimmt zu – Diskussionen über Strafmündigkeit

Dass zwei minderjährige Mädchen ihre eigenen Freundin töten – für viele Menschen ist das noch immer unbegreiflich. Über Tage hinweg kam es zu vielen Diskussionen: Ist es zeitgemäß, dass die mutmaßlichen Täterinnen ohne Strafe davonkommen, weil Kinder unter 14 Jahren in Deutschland grundsätzlich nicht strafmündig sind? Kann und muss der Staat mehr gegen Jugendgewalt tun? NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst versprach, die Landesregierung werde das Thema in den Fokus nehmen.

Erschreckend ist in diesem Zusammenhang auch eine Statistik, die zeigt: Gewalttaten bei Jugendlichen und insbesondere Kindern ist ungewöhnlich stark angestiegen. So ermittelte die Polizei in Nordrhein-Westfalen 2022 gegen knapp 21 000 tatverdächtige Kinder unter 14 Jahren. Das ist ein rasanter Anstieg um 41,1 Prozent innerhalb eines Jahres, während die Entwicklung in anderen Altersgruppen weit weniger auffällig war. Vor allem im Bereich Gewaltkriminalität sei der Anstieg „signifikant“ schreibt das Innenministerium.

Gewaltdelikte unter Jugendlichen und Kindern angestiegen: Frage nach Prävention

Der Fall Luise und auch die Statistik zeigt also vor allem eines: Es besteht dringender Handlungsbedarf. Wüst sagt dazu: „Es ist unsere Verantwortung als Gesellschaft, dass unsere Kinder in einer sicheren Umgebung aufwachsen können“. Und: „Wir müssen ihnen beibringen und sie darin unterstützen, Konflikte friedlich zu lösen.“

Er verweist darauf, dass es an den Schulen mehr Angebote etwa durch Schulpsychologen oder Sozialarbeiter gebe. Die Landesregierung habe den Schulen außerdem aktualisierte Handlungsempfehlungen für verschiedene Krisenfälle zur Verfügung gestellt. Auch die Polizei nehme die Jugendkriminalität stärker in den Blick.

Tod von Luise: Mobbing und soziale Netzwerke spielen bei Gewalt unter Kinder große Rolle

Oft spielen Mobbing und die sozialen Netzwerke eine große Rolle bei Gewalt unter Kindern und Jugendlichen. „Psychische Gewaltkriminalität im digitalen Raum ist, insbesondere im Jugendalter, ein verbreitetes Phänomen geworden“, analysiert das Innenministerium. Doch das Thema ist für die Behörden bislang noch abstrakt. Die Landesregierung bringt im Moment eine Studie auf den Weg, um die Ursachen und die Mechanismen von Kinder- und Jugendkriminalität besser zu verstehen.

Der Staat allein werde aber trotz aller Bemühungen immer nur begrenzte Möglichkeiten haben, macht Wüst klar. „Letztlich sind wir alle als Gesellschaft gefordert, hinzuschauen und dabei mitzuhelfen, solche Tragödien zu verhindern.“ (ibü mit dpa)