Mutter des toten Christian klagt nach Loveparade-Unglück

„Verantwortung tragen andere, aber die sind alle davongekommen”

von Daniel Pfaender und Konrad Rampelt

Es ist der Ort, an dem Gabis Sohn viel zu früh aus dem Leben gerissen wurde.
15 Jahre nach dem tödlichsten Festival-Unglück der deutschen Nachkriegsgeschichte flackern wieder Lichter am Mahnmal der Loveparade. Die Nacht der 1000 Lichter – sie ist für Gabi Müller (68) einer der wichtigsten Tage im Jahr. Am 24. Juli 2010 starb ihr Sohn Christian in der Massenpanik auf dem Gelände des alten Güterbahnhofs in Duisburg. Zusammen mit 20 weiteren jungen Menschen. Hunderte wurden verletzt. Bis heute wurde niemand juristisch zur Verantwortung gezogen.

24. Juli 2010 – der schlimmste Tag in Gabi Müllers Leben

Gabi Müller im Gespräch mit Pfarrer a. D. Jürgen Widera, dem Vorsitzenden der Stiftung „Duisburg 24.7.2010”.
Gabi Müller im Gespräch mit Pfarrer a. D. Jürgen Widera, dem Vorsitzenden der Stiftung „Duisburg 24.7.2010”.
RTL

Gabi Müller erinnert sich genau an den Tag, der alles veränderte. Christian war 25, wollte eigentlich gar nicht zur Loveparade, aber fuhr dann doch. Seine Mutter wünscht ihm noch einen schönen Tag. Sie geht später einkaufen und hört an der Supermarktkasse: In Duisburg gab es Tote. Zehn, sagt ein Freund ihres Sohnes, der damals im Supermarkt arbeitete. „Und dann habe ich nur gedacht: ‘wie zehn Tote? Woher kommen zehn Tote?’”

Als sie später nach Hause kommt, ist ihr Mann nicht da. Sie versucht, Christian anzurufen, die Mailbox geht dran. Als ihr Mann zurückkommt, steht ihr Bruder mit vor der Tür. Da weiß sie es. „Ich habe nicht gesagt: Er ist tot. Aber ich wusste, er kommt nicht mehr nach Hause.”

Am nächsten Morgen um vier Uhr klingelt es. Zwei Beamte der Kripo stehen vor der Tür. „Ich habe nur gesagt: Ich weiß, was sie mir sagen wollen.”

Christian Müller aus Hamm starb bei der Love Parade-Katastrophe in Duisburg im Alter von 25 Jahren.
Christian Müller aus Hamm starb bei der Love Parade-Katastrophe in Duisburg im Alter von 25 Jahren.
RTL

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Wer trägt Verantwortung?

Die Antwort auf diese Frage steht für Gabi Müller fest. „Ich kann doch den Menschen, die hier vor Ort waren, keine Vorwürfe machen. Verantwortung tragen andere, aber die sind alle davongekommen.”

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Der stellvertretende Polizeipräsident von Duisburg, Detlef von Schmeling sitzt neben dem Veranstalter der Loveparade, Rainer Schaller, und Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland (von links) am Sonntag (25. Juli 2010) in Duisburg bei einer Pressekonferenz nebeneinander.

Tatsächlich: Trotz offensichtlicher Planungsfehler und organisatorischer Mängel wurde der Prozess 2020 nach zehn Jahren eingestellt. Die Schuld der zehn Angeklagten – allesamt Mitarbeitende der Stadt Duisburg oder der Veranstalterfirma – sei „zu gering”.

Die juristische Aufarbeitung endet in Frustration. Und die Moralische? Nur Rainer Schaller, der später bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommene Veranstalter der Loveparade, bekannte sich wenigstens teilweise schuldig. Vor Gericht sagte er einmal: „Alles Leid, was sie seit der Love Parade in Duisburg empfunden und durchleben musste, ist auf meiner Veranstaltung passiert.”

Mehr kam nie.

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Jetzt droht auch noch das Gedenken zu verschwinden. Die Stiftung „Duisburg 24.7.2010”, die bislang das Mahnmal und die Gedenkveranstaltung organisierte, stellt ihre Arbeit ein. Stiftungsvorsitzender Jürgen Widera sagt zu RTL: „Wir sind eine Verbraucherstiftung auf zehn Jahre befristet. Das bedeutet, dass wir das Geld der Stiftung verbrauchen. Nicht anlegen, sondern einsetzen für die Stiftungsaufgaben. Und das haben wir zehn Jahre lang gemacht, bis das Geld nicht mehr vorhanden ist.”

Das Mahnmal für die Love-Parade-Katastrophe in Duisburg.
Das Mahnmal für die Love-Parade-Katastrophe in Duisburg.
RTL

Ob die Stadt Duisburg übernimmt, ist noch unklar. Für Gabi Müller wäre das bitter. „Die Nacht der 1000 Lichter, war für mich eigentlich immer sehr, sehr wichtig, weil das ist immer der Tag, da war die Welt noch in Ordnung”, sagt sie. Doch für die 69-Jährige noch lange kein Grund, nicht mehr zu kommen. „Es wäre auch nicht schlimm für mich, weil man kann sich ja trotzdem treffen und ich denke, einfach so dieser harte Kern, wenn wir alle gesund bleiben, treffen wir uns hier, unterhalten uns, zünden Kerzen an, das kann man ja auch beibehalten ohne Organisation im Kleinen.”

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Wie geht das Leben weiter – nach so einem Tag?

Gabi Müller sagt: Man funktioniert. Freunde, Arbeit und andere Angehörige haben geholfen. „Gerade am Anfang waren immer Angehörigentreffen und man konnte sich austauschen. Jeder hat jeden verstanden, ohne dass man sich erklären muss. Weil Menschen, die so was nicht erlebt haben, sagen nach einer gewissen Zeit: Ja, jetzt ist aber mal gut. Aber bei uns wird nie wieder gut.”

Einige Duisburger Bürger haben diesen stillen Gruß in Form eines Plakats beim Mahnmal hinterlegt.
Einige Duisburger Bürger haben einen stillen Gruß in Form eines Plakats beim Mahnmal angebracht.
RTL

Auch, wenn das Gedenken kleiner wird. Für Gabi Müller bleibt es zentral. Denn dass sie und ihr inzwischen verstorbener Ehemann ihr Kind zu Grabe tragen mussten, habe ihr Leben verändert. „Manchmal denke ich: wie hat man das überhaupt geschafft?” Gabi Müller sagt all das nicht aus Wut. Sondern aus Trauer. „Eigentlich beschäftigt einen das ja das ganze Jahr. Es wird mich ja bis zu meinem Tod begleiten. Nur man lernt, damit umzugehen.”