Schüsse auf Ahlener Supermarkt-Parkplatz
Richterin im Rache-Prozess: „Ziehen Sie dort weg. Der Hass ist unüberwindbar“

Wenn Feindschaft tödlich wird.
Ein Vater, der den Mord an seinem Sohn nicht verwinden kann. Ein Supermarktparkplatz, auf dem der Hass zwischen zwei verfeindeten Familien in Ahlen schließlich eskaliert. Vor dem Landgericht Münster endet jetzt ein Prozess, der tief in eine zerstörerische Fehde hineinführt.
„Ich bringe Euch alle um!“
Es ist der 20. Dezember 2024, als Fehmi A. sich auf einem Parkplatz in Ahlen (Nordrhein-Westfalen) von hinten anschleicht und zur Waffe greift. Sein Ziel: Benjamin Ü., der gerade Einkäufe verstaut, und dessen Mutter. Der 69-Jährige drückt ab. Benjamin Ü. wird in den Rücken getroffen. Danach richtet der Mann die Pistole auf die Mutter und schreit: „Ich bringe Euch alle um!“ Nur eine Ladehemmung verhindert, dass auch sie getroffen wird. Beide überleben.
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Der Auslöser: Ungesühntes Verbrechen
Vier Jahre zuvor, im Dezember 2020, verliert der Angeklagte seinen Sohn Thomas. Dem 34-Jährigen wird auf offener Straße in den Kopf geschossen. Die Ermittlungen laufen über Jahre, bleiben aber erfolglos und werden schließlich eingestellt. Aber für die Angehörigen ist der Fall dennoch klar: Mitglieder der Familie Ü. stecken dahinter. „Zwei Familien, deren Verhältnisse von Hass und gegenseitigen Verdächtigungen geprägt sind”, fasst die Vorsitzende Richterin zusammen. Aus dieser Überzeugung wächst der Hass – und mündet schließlich in Gewalt.

Das Landgericht Münster verurteilt Fehmi A. wegen zweifachen versuchten Mordes, zweifacher gefährlicher Körperverletzung und Verstoßes gegen das Waffengesetz zu sechs Jahren und sechs Monaten Haft. Außerdem muss er insgesamt 32.500 Euro Schmerzensgeld an die Opfer zahlen. Als das Strafmaß verkündet wird, bricht die Tochter des Angeklagten in Tränen aus. Sie wischt sich die Augen, schaut zu ihrem Vater. Doch der zeigt keine Regung. „Hier ist uns aufgefallen, dass Herr A. kein Bedauern geäußert hat. [...] Es ist nicht ausgeschlossen, dass er weiter auf Rache sinne”, warnt die Richterin.
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„Ziehen Sie dort weg!“ – Appell an beide Familien
Die beiden Familien gehören zur syrisch-orthodoxen Volksgruppe der Aramäer – und leben in Ahlen Tür an Tür. Im Gerichtssaal ist auch Pfarrer Petrus Kaya vor Ort. „Ich bin hier, damit es ruhig bleibt”, will er beschwichtigen. Doch die Richterin macht in ihrer Urteilsbegründung deutlich: Hier gibt es keinen einfachen Frieden mehr. Ihr Appell ist drastisch: „Ziehen Sie dort weg. Der Hass ist unüberwindbar. Warten sie nicht, bis die andere Familie es tut. Das ist aus unserer Sicht der einzige Weg.“
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Für Anwalt Andreas Chlosta, der die Nebenklage vertritt, ist das Strafmaß zu niedrig. „Es war eine versuchte Hinrichtung zweier Menschen im öffentlichen Raum. Hier eine doch relativ milde Strafe auszuteilen, das ist für uns unverständlich.” Auch nach dem Urteil kehre bei seinen Mandanten kein Frieden ein. „Es bleibt das Gefühl der Angst, wieder zum Opfer zu werden”, meint er im RTL-Interview. Verteidiger Uwe Krechel kündigt im Gespräch mit RTL Revision an: „Die Verteidigung hatte im Verhalten des Angeklagten keinen Mord, sondern nur Totschlag gesehen. Das hätte das Strafmaß erheblich geändert.”
Verwendete Quellen: eigene RTL-Recherche