„Erster Juli, der erste Tag ohne Pflege … mir wurde am 24. Juni die Pflege für meine Tochter Jennifer gestrichen. Ich bin fassungslos und weiß nicht, wie es weitergehen soll, wie ich unsere Existenz retten kann.“
Jennifers Mutter hat mir dieses Video geschickt. Was da genau passiert ist, das will mir Kerstin Heumer ein paar Tage später persönlich erzählen. Die Familie wohnt in Blankenfelde Mahlow südlich von Berlin. Seit 20 Jahren liegt Jennifer im Wachkoma.
Diese Aufnahmen zeigen Jennifer mit zehn. Kurz danach platzt in ihrem Gehirn eine Arterie. Ihre Überlebenschancen sind gering, doch Jennifer war und ist eine Kämpferin, sagt ihr Mutter. Bislang zahlte die Krankenkasse eine Pflegerin, die Kerstin Heumer unterstützte und bei lebensbedrohlichen Situationen eingreifen konnte. Doch Ende Juni bekommt sie diesen Brief der AOK Rheinland/Hamburg: Die Voraussetzungen für die Pflege seien nicht mehr gegeben, heißt es darin.
„Ich konnte es gar nicht glauben. Ich musste das mehrmals lesen, um das überhaupt zu verstehen. Weil der Zustand meiner Tochter hat sich überhaupt nicht verändert. Der ist nach wie vor derselbe. Und jetzt bekomme ich so einen Bescheid und dachte: Was mache ich nun?“
Allein gelassen, traurig, auch überfordert – so fühlt sich Jennifers Mutter gerade. Zumal die Krankenkasse ihre Zahlungen im Eiltempo einstellt.
„Ich habe den Bescheid am Donnerstag bekommen und ab Dienstag habe ich keine Pflege mehr.“
Das kann nur ein Fehler sein, glaubt Kerstin Heumer zunächst. Und auch ich denke zu diesem Zeitpunkt noch: Das alles wird sich schnell aufklären. Schon einmal war die Familie in einer ähnlichen Lage. Damals, vor 13 Jahren, lernte ich die beiden kennen.
Kurz zuvor wollte die Krankenkasse die Pflegekraft schon einmal streichen, schrieb aber – nachdem wir uns eingeschaltet hatten – von einem Fehler und versprach, nun sei die Versorgung von Jennifer dauerhaft gesichert. Darauf hatten sich die Mutter und auch Beate Musal verlassen.
Elf Jahre hat sie Jennifer gepflegt, jetzt kann sie nur noch privat bei ihr vorbeischauen.
Bezahlt hat die Krankenkasse bislang für die sogenannte außerklinische Intensivpflege: 25 Stunden pro Woche war Beate Musal im Einsatz. Voraussetzung für die Leistung sind täglich auftretende lebensbedrohliche Situationen. Die gebe es nicht, heißt es nun im Gutachten des medizinischen Dienstes. Ihr Zustand sei in den letzten Jahren zwar stabil, sagen Mutter und Pflegerin. Doch das könne sich jederzeit ändern. Jennifer habe regelmäßig epileptische Anfälle und außerdem bedeute die Pflege-Unterstützung so viel mehr.
Ich werde natürlich bei der Krankenkasse nachfragen, warum die Entscheidung so getroffen wurde. Jennifers Mutter ist bislang selbständig – mit einer kleinen Schneiderei. Die hat sie erst einmal geschlossen und arbeitet mit Wehmut ein paar Rest-Aufträge ab.
„Da war ich sehr, sehr stolz drauf, weil ich immer gesagt habe, trotz der schwierigen Situation habe ich trotzdem die Möglichkeit zu arbeiten, mein eigenes Geld zu verdienen und Jennifer zu versorgen mithilfe der Pflegekraft./ Ich habe immer gesagt: Meine Kunden sind meine beste Therapie.“
Ein Fehler im Gutachten, wie schon vor einigen Jahren – das ist Kerstin Heumers Hoffnung. Doch diesmal beharrt die Krankenkasse auf ihrem Standpunkt.
Tägliche Lebensgefahr bestehe nicht, schreibt mir eine Sprecherin der AOK Rheinland/Hamburg und weiter:
„Eine Weiterbewilligung war uns somit aufgrund der entfallenen Voraussetzungen nicht mehr möglich. Die Übernahme der Leistung endete deshalb mit dem 30. Juni 2025.“
Welche Chancen haben Jennifer und Kerstin Heumer nun noch?