Reporterin berichtet aus MumbaiCorona-Katastrophe in Indien - ein Land erstickt: "Überall Hilferufe nach Sauerstoffflaschen"
Bilder aus Indiens Hauptstadt Neu Delhi gehen um Welt. Videos von Masseneinäscherungen, Schlangen vor Krankenhäusern und Menschen, die auf der Straße behandelt werden, zeigen das katastrophale Ausmaß der Coronavirus-Pandemie. Durch die Corona-Mutante B.1.617 ist die Lage in Indien außer Kontrolle. Bereits den fünften Tag in Folge hat es dort einen weltweiten Rekord bei den Corona-Neuinfektionen gegeben und das Gesundheitssystem droht unter der Last zusammenzubrechen. Die deutsche Reporterin Natalie Mayroth lebt in Mumbai und berichtet seit 2017 aus Indien und Südasien. Wie erlebt sie die Lage vor Ort? Die Arbeit der Totengräber und wie immer mehr provisorische Krematorien errichtet werden müssen, um der vielen Toten Herr zu werden – im Video.
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Wegen Corona-Lockdown haben Supermärkte nur bis 11 Uhr auf

Die Millionenmetropole Mumbai im Westen des Landes ist eine der bevölkerungsreichsten Städte der Welt. Dennoch ist die Lage dort noch nicht so dramatisch wie in der Haupstadt Neu Delhi. Das hat vor allem mit dem schnellen und konsequenten Handeln der Lokalregierung zu tun: „Ich lebe in Westindien und hier hat sich sehr früh abgezeichnet, dass die Pandemie wiederkommt“, erzählt die Natalie Mayroth. Deshalb habe die Lokalregierung gehandelt und neue Lockdowns angeordnet: „Mittlerweile ist es so, dass man Lebensmittel nur noch bis 11 Uhr morgens kaufen kann.“ Ansonsten habe abgesehen von Apotheken alles geschlossen.
Dieser frühzeitige Lockdown scheint ausschlaggebend für den glimpflicheren Verlauf der Pandemieausbreitung zu sein: „Hier konnten wir nicht mehr in Restaurants essen gehen, aber in Dehli konnten sie noch ins Fitnessstudio. Das macht natürlich einen Unterschied. Wenn sehr viele Leute infiziert sind und sie schließen nicht, dann breitet sich das (Virus) sehr stark aus“, erklärt Mayroth.
Dennoch wird auch in Mumbai an allen Ecken Hilfe dringend benötigt: „Sie hören überall Hilferufe nach Sauerstoffflaschen und dass vor allem Betten in den Krankenhäusern knapp sind“, berichtet die deutsche Reporterin. Allerdings sind die Todeszahlen in Mumbai weit unter denen aus der Hauptstadt. „Der größte Unterschied wenn Sie sich die Statistiken ansehen ist, dass in Neu Delhi etwa 350 Leute am Tag sterben und in Mumbai sind es etwa 70 Menschen. Das macht auf jeden Fall einen sehr großen Unterschied.“
Hitze und hohe Bevölkerungsdichte erschweren Corona-Lockdown

Natalie Mayroth selbst ist vor dem Virus bisher verschont geblieben, doch die dramatischen Szenen aus Neu Delhi bereiten ihr Sorgen: „Ich habe auch mit Kolleginnen vor Ort gesprochen. Sehr viele Korrespondenten hatten schon Corona oder sind eben jetzt erkrankt. In Mumbai passiert das auch, aber man sieht nicht Leute vor dem Krankenhaus sterben.“
Trotz Lockdowns in Mumbai und den geschlossen Geschäften kann die Regierung die Einwohner jedoch nicht davon abhalten ihr Haus zu verlassen. Das habe zu einen mit der Hitze und zum anderen mit der hohen Bevölkerungsdichte vor allem in den Slums des Landes zu tun: „Wenn ich hier ums Eck gehe, sehe ich die Leute draußen sitzen, weil sie einfach nicht den ganzen Tag zu fünft oder zu siebt in ihrer Wohnung sitzen können. Wir haben hier über 30 Grad. Das ist einfach zu viel“, erklärt Mayroth.
Im Herzen Mumbais liegt der Dharavi, der größte Slum des Landes. Angaben zur Einwohnerzahl schwanken zwischen 500.000 und 1 Million Menschen. Trotz der engen Bevölkerungsdichte ist die Situation dort wider Erwarten einigermaßen stabil. Es gibt sogar ein eigenes Impfzentrum. Doch wie so oft trifft auch diese Pandemie die Ärmsten des Landes am stärksten. Gerade diejenigen, die keinen Arbeitsvertrag und kein Einkommen haben, kämpfen ums Überleben. Durch ihren finanziellen Notstand und die Angst vor dem Virus werden die Menschen im Slum Opfer von Quacksalbern, die unwirksamen Mitteln eine schnelle Heilung versprechen.
200 Euro für eine Sauerstoffflasche: Der Schwarzmarkt boomt

Angesichts des Mangels an Sauerstoff und Medikamenten boomt der Schwarzmarkt im Land. Gerade Remdesivir, ein Medikament, das zur Behandlung von Covid-19 genutzt wird, wird für viel Geld angeboten. Lokale Politiker versuchen mittlerweile selbst Medikamente für ihre Wahlbezirke zu organisieren: „Das Problem ist: Wer hat bessere Kontakte? Deshalb sind Preise auch gerade so hoch und das ist problematisch“, verdeutlicht die Journalistin.
Ähnlich sei es mit Sauerstoff. Für manche Einwohner geht beim Kauf von Medikamenten ihr gesamtes Erspartes drauf: „Ich war draußen und habe einen Herrn von der Apotheke getroffen, der eine Flasche Sauerstoff hatte. Für die hat er 200 Euro gezahlt. Das ist sehr sehr viel für indische Verhältnisse“, sagt Mayroth. Dies beunruhige vor allem die Leute, die sich solche hohen Summen nicht leisten können: „Ich habe gestern mit jemanden gesprochen, der in Mumbai Sauerstoff organisiert und er meinte seitdem seine Nummer draußen ist, klingelt das Telefon nonstop.“
Doch wie bei der ersten Welle zeige sich eine große Solidarität im Land. Von vielen Seiten werde sich um Hilfe bemüht.
Die Corona-Impfkampane in Indien läuft nur schleppend

Neben der Mutation B.1.617 dürfte auch eine länger verbreitete Sorglosigkeit Grund der schnellen Verbreitung der Seuche sein. Es gab lange Massenveranstaltungen für anstehende Regionalwahlen und religiöse Feste, bei denen Menschen weder Masken trugen noch Abstand hielten. Nun folgt die Quittung: „ Es gibt Wissenschaftler, die davon ausgehen, dass bis August eine Millionen Menschen an den Folgen von Corona sterben werden. Wir hoffen natürlich, dass es nicht so weit kommt“, sagt die Reporterin. Jetzt wo die Weltgemeinschaft den Ernst der Lage gesehen habe, hoffe Indien auf Hilfe aus dem Ausland. Einige Länder haben bereits Hilfe angekündigt. Dazu gehören unter anderem Singapur, Großbritannien, die USA und auch die EU beteiligt sich.
Die Impfkampagne im Land lief zunächst schleppend. Durch die kritische Lage wollen sich nun aber viele Menschen impfen lassen, was zu langen Schlangen vor den Impfzentren führt. Indien hat mittlerweile 140 Million Dosen Impfstoff in die Oberarme gebracht. Ab Mai sollen bereits Leute ab 18 geimpft werden dürfen. Ein Plan, den Natalie Mayrot in der aktuellen Situation kritisch sieht: „Ich bin mir sicher, dass das etwas chaotisch wird, weil es jetzt gerade schon chaotisch ist, die Leute zu versorgen, die berechtigt sind.“
Video: Wie Mutationen entstehen und sich verbreiten
Hygieniker Dr. Zinn: Die Lage in Indien muss beobachtet werden
In einem Interview mir RTL erklärte Hygieniker Dr. Zinn, was die indische Mutation B.1.617 für Deutschland bedeutet: „Der erste Schritt wäre erstmal zu gucken, wie wirksam unsere Impfstoffe gegen die indische Mutation sind. Wenn das nicht der Fall ist, hat Biontech-Chef Prof. Sahin schon ganz klar gesagt, er könne innerhalb von 6 Wochen die Impfstoffe anpassen.“
Zudem sei es erforderlich die Reisebeschränkungen sowie die strengen Hygienemaßnahmen weiter einzuhalten und das Infektionsgeschehen in Indien extrem gut im Auge zu behalten. Nur so könne die Corona-Mutante aus Indien im Zaum gehalten werden. Die Lufthansa fliegt nach eigenen Angaben derzeit zehn Verbindungen pro Woche zwischen Frankfurt und Indien.